Milch machts möglich

Die goldbraune, knusprige, duftende St. Galler Bratwurst gehört zu den beliebtesten Schweizer Sommerfreuden.

Ihr Anblick und ihr Aroma sind uns tief vertraut. Aber wusstest du, dass Milch in die Bratwurst gehört, und was es braucht,

um sie perfekt zu servieren und was Metzgermeister:innen hässig macht?

Ihr Zischen und Brutzeln gehört zum Soundtrack des Schweizer Sommers, ihr verführerischer Duft hat sich spätestens mit dem ersten Kindergartenreisli tief in unsere Hirnwindungen eingeprägt. Die St. Galler Bratwurst gehört zum Kulturerbe der Schweiz. Sobald irgendwo die Sonne auf dem See glitzert, ein Feuerchen angezündet oder Fussball gespielt wird, ist sie spontan da, diese Lust auf knusprige Haut und saftiges, würziges Brät. Kein Wunder also, räkeln sich die begehrten St. Gallerinnen zigtausendfach über glimmenden Kohlen, züngelnden Flammen und glühend heissem Metall. Wen fasziniert sie nicht, diese geradezu magische Verwandlung vom edlen Weiss zum unwiderstehlichen Goldbraun?

Milch für den perfekten Teint

Ein entscheidender Faktor für dieses kulinarische Wunder ist Milch. Die St. Galler Bratwurst gehört zu einer kleinen Gruppe von Schweizer Fleischspezialitäten, für die Milch eine stilistisch und geschmacklich prägende Zutat ist. Bei der Blutwurst sorgt die Milch oder auch Rahm für mehr geschmackliche Fülle und eine angenehme samtige Konsistenz. Bei der Glarner Kalberwurst und beim Fleischkäse erfüllt Milch dieselbe Funktion wie bei der St. Galler Bratwurst. Das Milcheiweiss rundet das Brät harmonisch ab. Es trägt bei zu einer gleichmässig feinen Füllung und begünstigt das Ineinandergreifen der wichtigen Aromen. Bei der Bratwurst sind das gutes Fleisch, Speck, Salz, Pfeffer, Muskat, Zwiebel und Zitrone. Dieses geschmackliche Miteinander empfinden wir als lieblich, angenehm und irgendwie beglückend. Seelennahrung.

Nachhaltige Nutzung

Wird dieses Brät gebraten, ist die Karamelisierung des Milchzuckers die Grundlage für das attraktive Goldbraun. Doch so wunderbar Appetit anregend dieser Effekt heute wirken mag, er ist nicht das Ergebnis einer gezielten Entwicklung von smarten Lebensmittelingenieuren. Er ist vielmehr ein Beispiel für nachhaltige Nutzung, wie sie für unsere Vorfahren noch selbstverständlich war. Früher galt Vollmilch als Luxus. Man schöpfte möglichst viel Milchfett ab, um daraus Butter zu machen. Die verbleibende Magermilch diente als Nahrung und wurde beispielsweise in Form von Wurst haltbar gemacht.

Von der Tradition zur Pflicht

Die Zugabe von Milch zum Brät mit all ihren vorteilhaften Folgen wurde spätestens bei der Formulierung des Pflichtenhefts der Sortenorganisation St. Galler Bratwurst zur Pflicht erhoben. Die aktuell 39 Mitglieder erfüllen diese Vorgabe auf unterschiedliche Weise. Frische Milch wird aufgrund der strengen Vorschriften in der Lebensmittelproduktion nur noch selten und dann in kleinen Betrieben verwendet. Die praxisgerechtere Lösung ist Milchpulver, das mühelos gelagert und termingerecht verwendet werden kann. Eine von vielen Betrieben geschätzte Variante ist gefrorene Magermilch in Form von «Milchscherben». Sie liefern neben den erwünschten Inhaltsstoffen die unverzichtbare Kühlung, um im Blitz, einem Hochleistungsmixer, perfektes Brät herzustellen ohne es dabei vorzeitig zu erhitzen.

Das kulinarische Potenzial ausreizen

Wenn also derart viel hochwertiger Inhalt und handwerkliches Know-how in die St. Galler Bratwurst investiert werden, türmt sich vor den Grillexperten und -expertinnen eine heisse Frage auf. Wie wird man so viel kulinarischem Potenzial gerecht? Wie wird aus dem wunderschönen weissen Rohling eine würdige Botschafterin für das kulinarische Erbe der Eidgenossenschaft? Dazu haben wir die Profis befragt. Ihr Rat ist knapp und klar. Eine gut gemachte Bratwurst zu grillen ist sicher keine Hexerei. Es braucht Geduld, Geduld und ein Thermometer.

Die wichtigste Weisheit

Eine Bratwurst braucht Zeit, um ihre Hochform zu erreichen und hetzen bringt gar nichts. Die Dinge, die an der Oberfläche und im Innern geschehen müssen, kann man nicht erzwingen. Zehn bis zwanzig Minuten sind nötig, damit bei moderater Hitze (120 bis 150 Grad) die erhoffte Delikatesse entsteht: Die Haut soll goldbraun und knusprig werden, aber nicht schwarz, das Innere schön heiss und saftig. Gute Holzkohle ist für dieses Resultat unverzichtbar. Idealerweise wartet man auf den ersten weissen Ascheflaum, bis man die Würste auf den Rost legt. Etwa die Hälfte der Experten gart zuerst eine Seite, bis sie perfekt aussieht und dreht die Wurst erst dann.

Das macht den Metzger hässig

Für einige Metzger ist schon das Braten in der Pfanne eine Unsitte. Doch etwas lässt bei allen Metzgermeistern den Puls zuverlässig hochschnellen. Die Haut einschneiden wie bei einem Cervelat– am besten noch als herziges Müsterli – gilt als unverzeihlicher Frevel. Die Bratwurst trocknet aus, bevor die Haut knusprig ist. Der natürliche Riss entlang der Hülle aus Schweinsdarm verrät dem Kennerauge hingegen, dass da jemand am Werk war, der weiss, was er/sie da tut. Frohes Grillwerk und en guete!