Wieso ist die St. Galler Bratwurst weiss?

Weisse Würste fallen auf!
Die Schweiz ist die Ausnahme, weil die St. Galler Bratwurst zu den populärsten Fleischspezia­litäten unseres Landes gehört.

Die meisten ihrer Mitbewerberinnen sind aber eindeutig farbiger. Eine Frage taucht immer wieder auf:
Was steckt hinter dem königlich blassen Teint der St. Galler Bratwurst?

Die Antwort ist nicht ganz einfach. Sie hat mit den Rohstoffen, der Verarbeitung und mit Tradition zu tun. Die Färbung einer Wurst wird bestimmt von zwei Faktoren.

Die Farbe des Fleisches

Die Muskeln der meisten Säugetiere haben eine ausgeprägte rote Färbung. Wie intensiv dieses Rot ist, hängt entscheidend ab vom Gehalt eines lebenswichtigen Eiweissbau­steins. Er heisst Myoglobin und ist eng ver­wandt mit dem Hämoglobin im Blut. Beide Moleküle können Sauerstoff binden, trans­portieren und am richtigen Ort zur Verfü­gung stellen. Myoglobin kommt ausschliess­lich in Muskelzellen vor. Es übernimmt dort den Sauerstoff vom Hämoglobin und macht ihn verfügbar für die Umwandlung von che­mischer Energie in Bewegung.

Die unterschiedlichen Rottöne

Die Andockstelle für das Sauerstoffatom ist ein Eisenatom. Dieses Eisen ist der Grund, weshalb Blut und Muskeln rot sind. Der Myoglobin-Gehalt ist höher und das Gewe­be umso röter, je intensiver der Muskel ge­braucht wird. Tiere, die sich viel und schnell bewegen, haben tiefrotes Fleisch, z.B. Wild oder Weiderinder. Bei Jungtieren und weni­ger aktiven Arten ist es entsprechend heller. Einen Einfluss auf den Eisengehalt hat auch die Ernährung. Deshalb fütterte man Mast­kälber früher bewusst eisenarm, damit ihr Fleisch möglichst hell blieb. Das ist in der Schweiz seit 2013 verboten.

Helle Zutaten

Der noblen Blässe der St. Galler Bratwurst hat das nicht geschadet, denn auch das Fleisch gesunder Kälber ist so hell, dass es die gewünschte Brätfarbe nicht beeinträchtigt. Für eine St. Galler Kalbsbratwurst IGP müs­sen mindestens 50 Prozent des verarbeiteten Muskelfleischs vom Kalb stammen. Viel mehr bringt aus kulinarischer Sicht übrigens keinen Vorteil, denn für ein aromatisches und geschmeidiges Brät braucht es unbe­dingt Schweinefleisch und Speck. Diese Zu­taten sind weiss oder höchstens rosarot

Die Art der Verarbeitung

Myoglobin ist ein Eiweiss und verändert sich, wenn es erhitzt wird. Dieser Vorgang ist uns allen vertraut. Ein blutrotes Steak wird grau­braun, sobald seine Temperatur etwa 70 Grad erreicht.

Salz & Haltbarkeit

Dass sich Fleisch mit Salz haltbarer machen lässt, entdeckten unsere Vorfahren schon vor Jahrtausenden. Wenn gewisse Bedingungen stimmten, behielt es dabei sogar seine rote Farbe. Der Grund dafür sind Bakterien, die aus Stickstoffverbindungen Nitrit herstellen. Im 19. Jahrhundert löste man das Rätsel. Das Nitrit wandelt das Myoglobin in eine stabile Form um, die ebenfalls rot ist.

Der Brühprozess

Aus diesem Verständnis der natürlichen Pro­zesse entstand das Nitritpökelsalz, dank dem Fleisch nicht nur haltbarer wird, sondern sei­ne rote Farbe auch während des Garens be­hält. Die appetitliche «fleischige» Farbe vieler Würste beruht auf diesem Effekt. Im Fach­jargon der Fleichfachleute nennt man das Umrötung.

Das Brät der St. Galler Bratwurst wird aber bis heute gemäss alter Tradition gesalzen und gewürzt ohne Nitritzugabe. Die relativ gerin­ge Menge von Myoglobin im Kalb- und Schweinefleisch verliert beim Brühen der Würste (etwa 70 Grad) alle Rottöne.