Das Wurstwunder von Zürich

Besuch im legendären Sternen Grill

BBB oder Bratwurst, Bürli, Bier.

In St. Gallen ist dieses Trio allgegenwärtig: Am Open-Air, im Stadion, an Festen, Parties, beim Einkaufen und im Ausgang. Selbst die höchsten Gäste der Regierung bekommen im Staatskeller die St. Galler Bratwurst im Papiersäckli serviert, dazu ein Bürli und ein Schüga (Schützengarten ist die älteste Brauerei der Schweiz). Es ist eine kulinarische Symbiose, die wunderbar mundet, Durst und Hunger löscht und sich rasch und unkompliziert verkaufen, kaufen und konsumieren lässt. Das hat man irgendwann auch westlich der Ostschweiz gemerkt. Zum Beispiel in Zürich. Und dort vor allem am Bellevue. Am Sternen Grill, der in keinem Fremdenführer über die Zwinglistadt fehlt und darum so weltbekannt ist wie unsere St. Galler Bratwurst, gehen jeden Tag 800 Stück davon über den Tresen. 365 mal im Jahr, also über 30 000 Exemplare, und alle IGP. Damit ist die Bratwurst möglicherweise die beliebteste Ostschweizerin in Züri.

Die «Echte» auf dem Grill

Mitte Woche, Zürich Bellevue, kurz vor Mittag. Reges Treiben an diesem Verkehrsknotenpunkt im Herzen von Zürich, ein riesiges, schnelles Miteinander von Autos, Trams und Passanten. Hier trifft man sich zum Kaffee, zum Lunch, zum Imbiss und geht und fährt in der Regel gleich wieder weiter. Überall locken Tische im Freien, Take-aways und Cafés zum kurzen Verweilen. Dort, wo der goldene Stern einladend in der Frühlingssonne funkelt, ist die Warteschlange besonders lang. Sie reicht bis zum Eingang des benachbarten Bankengebäudes. Das ist er also, der Sternen Grill, Zürichs legendärer Bratwurst-Tempel. Aus der Nähe betrachtet gar nicht so spektakulär, obschon man von ihm sagt, hier treffe sich die Welt samt ihren Stars und geniesse «das Original» bis tief in die Nacht. Mit dem Original ist natürlich die St. Galler Bratwurst IGP gemeint, die hier tatsächlich eine solche ist. Täglich produziert und nach Zürich verschickt von der Dorfmetzg Tanner in Henau, einem 1300-Seelen-Dorf bei Wil. Im Treppenhaus hängen die Bilder prominenter Gäste: Udo Jürgens, Nick Heidfeld, Jörg Schneider, die erste Mannschaft des FCZ. Jetzt stehen Touristen, Pendler, Studenten, Pensionäre, Einheimische, Geschäftsleute und Wurstliebhaber an, von denen viele «das Original» bestellen werden.

Grossandrang am Mittag

Am Mittag herrscht vor der Theke Grossandrang und dahinter Fliessband-Betrieb. Rechts das Geld geben, links die Wurst nehmen. Sie kommt vom Grill in die Serviette und schwupps in die Hand des Gastes. Dazu ein Gold-Bürli von der Zürcher Bäckerei Gold. Es gilt als das Beste der Stadt – und vielleicht der Welt. Wir sind eben in Zürich. Und ja, auch eine Portion Senf wird einem hier in die Hand gedrückt. Bevor wir uns selber in die Schlange stellen, wollen wir uns in Zürichs Kult-Imbiss umsehen und umhören. Wir sind überrascht, wie freundlich der Ton zwischen Gästen und Personal bleibt – trotz Stosszeit.

Dem Wurstwunder auf der Spur

Viele Gäste wählen trotz der umfangreichen Menükarte die Bratwurst. Weshalb? Wir fragen nach! Für die Gymnasiasten Tobias Andermatt und Timothy Ruoss ist der Grund simpel: «Der Preis. Die Bratwurst mit Bürli kostet hier 7.50 Franken. Das ist günstig für Zürcher Verhältnisse. In einem Burger-Laden würden wir mehr ausgeben und hätten danach schneller wieder Hunger». Lisa und Charles Buser aus Zunzgen steuern mit vollen Händen einen kleinen Bartisch an. Sie haben «das Original» aus nostalgischen Gründen bestellt. Er erzählt: «Schon unsere Eltern haben vom Bratwurstessen im Sternen Grill geschwärmt. Jetzt machen wir das auch, ein, zwei Mal im Jahr.» Lisa Buser präzisiert: «Eigentlich essen wir fast nie Würste. Aber wenn, dann hier eine St. Galler Bratwurst. Sie sind aussen knusprig, innen saftig, einfach fein!»

Mit oder ohne?

An einem Zweiertisch im Freien sitzen Dominic Mégel und Christian Lienhart aus Zürich. Die beiden sind gut gelaunt: «Warum wir eine St. Galler Bratwurst essen? Weil sie einfach super ist. Viel besser als der St. Galler Dialekt». Etwas ernster meint Mégel: «Nein ehrlich, über die Qualität der Wurst habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Aber der Sternen Grill ist ein Mythos und der perfekte Ort für ein Treffen.» Sagts und tunkt die Wurst in Cocktailsauce. Und damit wären wir dann auch beim Thema, das seit jeher die Geister scheidet. Also geben wir an dieser Stelle noch unseren Senf dazu. Der Senf zur Wurst ist im Sternen Grill eine alte Tradition. Es ist ein extrascharfer Senf mit Meerrettich. An einer Wand des Lokals hängt grossformatig der «historische» Comic aus dem züritipp, der diese kulinarische Extrawurst verewigt hat: Die «Inter-Galakto-Vordere-Schtärne-Senf-Experience» des 2009 verstorbenen Zeichners Mike Van Audenhove.

Wie daheim

Mittlerweile ist es eins, die Schlange vor dem Grill hat sich aufgelöst. Höchste Zeit, in der Weltstadt eine heimische Wurst zu essen. Hier, wo alles irgendwie in und hip ist, beschleicht uns das Gefühl, dass sogar unsere St.Galler Bratwurst zum Kult wird. Und ja, sie schmeckt gut, unsere Wurst vom Sternen Grill. Tatsächlich knusprig, saftig, fein. Wie daheim.

Phänomen Sternen Grill

Das international bekannte Imbisslokal am Bellevue-Platz wurde im Jahre 1963 vom Gastro-Unternehmer und ehemaligen Präsidenten des Wirteverbands der Stadt und des Bezirks Zürich Eduard Rosenberger eröffnet. Seit 1995 führen ihn die Brüder Peter und Thomas Rosenberger in zweiter Familiengeneration. Mehr Impressionen, Informationen und Kult auf sternengrill.ch